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Auf der Jagd nach dem Madonnen-Weltrekord

Aus allen Richtungen schaut Maria, Maria mit Krone, Maria mit Vögeln, Maria als Himmelsherrscherin, Maria als fürsorgliche Mutter mit Kind aus Plastik, Maria mit Engeln, Hummel-Marien aus Porzellan und Maria in Betlehem aus Olivenholz. Jorge Mercado Acosta und Milany Dürolf-Dela Hoz aus Lateinamerika lieben einfach Maria. Mehr sei nicht dabei, meinen sie. Deshalb haben sie 678 Madonnen in ihrer Wohnung in Mainz. Marien-Bilder und Marien-Statuen finden sich an allen Wänden, in allen Ecken, auf Fensterbänken, Kommoden und Regalen, über dem Bett, über dem Sofa, über dem Herd, über Schränken, hinter der Eingangstür, vor der Eingangstür, auf dem Balkon. Es sind dezente Drucke mit stoischen Gesichtern, goldene Ikonen und mit Acrylfarben gemalte knallfarbige Bilder mit immer lächelnden Mimiken, manche sind mehr als 100 Jahre alt, manche zehn. Dürolf-Dela Hoz weiß genau, das ist Maria die Knotenlöserin, das ist Maria der unbefleckten Empfängnis, das die Schönstatt Madonna, das Unsere Liebe Frau vom Rosenkranz von Chiquinquirá aus Kolumbien. Sie verehren Maria. Doch das Paar hat jetzt auch ein weltliches Ziel im Blick. Sie wollen einen Weltrekord aufstellen. Acosta hat bereits mit Guinness telefoniert. 1000 Madonnen müssen sie aufweisen, um in die Liste aufgenommen zu werden. Sie rechnen damit, dass sie noch drei bis vier Jahre brauchen, bis sie das schaffen.

„Maria hat mir im Leben immer geholfen. Meine Mutter hat auch sehr auf Maria vertraut“, erzählt die Kolumbianerin. Sie sei als Kind sehr krank gewesen. Sie und ihre Mutter hätten viel gebetet, immer zur Madonna gebetet. Heute gehe es ihr wieder gut. Auch ihre erwachsene Tochter sei vor einigen Jahren schwer erkrankt. Heute sei sie gesund. „Natürlich weiß ich, dass Jesus die Nummer eins ist. Aber vielleicht redet Maria mit ihm wie eine Mutter mit ihrem Sohn“, meint die 68-Jährige, die als Altenpflegeassistentin arbeitet. Noch bevor sie ins Bad geht, zündet sie jeden Morgen vor einer Gruppe Marienstatuen auf einer Kommode eine Kerze an und bedankt sich für den neuen Tag. Mehrmals im Jahr fährt die Lateinamerikanerin nach Schönstatt, mal alleine, mal mit anderen Gemeindemitgliedern der spanischsprachigen Gemeinde in Mainz. Als Dürolf-Dela Hoz vor 22 Jahren nach Mainz kam, vermisste sie Maria in ihrer Wohnung. Also kaufte sie sich in einem Geschäft am Dom ihr erstes Marienbildnis in Deutschland. Es kamen weitere dazu. Das eher moderne Bild von Maria über dem Sofa, die überirdisch zwischen den Sternen im All schwebt und das Jesus-Baby wie eine Mutter auf dem Arm hält, gefällt ihr besonders gut, erzählt sie. Das Kind schaut zu ihr.

Vor zehn Jahren als Acosta zu ihr zog, sei es richtig verrückt geworden, erzählt Milany Dürolf Dela Hoz. Sie sind seit elf Jahren ein Paar. „Meine Tochter sagt immer, mit Jorge hast du ein Sammel-Monster geschaffen“, erzählt die Kolumbianerin und lacht. Der Puerto Ricaner zuckt die Achseln und gibt zurück: „Ich finde sie einfach sehr schön. Schau mal, wie schön sie ist.“ Jedes Wochenende suchen sie nach Flohmärkten in der Region. „Ich handle immer mit den Leuten. Das kann ich gut. Ich nenne einen hohen Preis, die sagen das ist zu wenig und wir einigen uns auf die Mitte. Mehr als 35 Euro haben wir noch nie bezahlt“, erklärt der LKW-Fahrer und fügt hinzu: „Die Leute glauben nicht. Für sie haben die Madonnen keine Bedeutung. Oft wird der Besitz nach Hausauflösungen von älteren Leuten verkauft, die gestorben sind. Wenn ich mal nichts finde, werde ich sehr traurig.“ Der 57-Jährige wendet nach einer Einkaufsjagd viel Zeit auf, um jedes Sammlerstück digital auf seinem Computer zu erfassen, zu sortieren und zu zählen. In sozialen Medien lässt er seine Freunde an seinem Erfolg teilhaben. Viele Darstellungen sind Geschenke, viele aus Lateinamerika. Manche Schenker sind bereits verstorben. Diese Madonnen sind Erinnerungen an all die Menschen, die ihnen wichtig sind.

Theresa Breinlich
Liboriusblatt
November 2022