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Die Theologie in der Medizin

Manchen scheint die Energie nie auszugehen. Peter A. Schult ist so einer. Der Ruhestand hält den Hausarzt und Psychotherapeuten auch mit 75 Jahren nicht von der Arbeit ab. Ebenso wenig vom Ehrenamt: Er reist als Pilgerarzt jährlich nach Lourdes und gestaltet Wortgottesdienste in seiner Pfarrei.

Die Praxis von Peter Schult befindet sich in seinem Wohnhaus in Ginsheim, gleich unter dem Wohnzimmer. Das sagt viel über ihn aus. Für andere da und verfügbar zu sein, gehört eben ganz selbstverständlich zu seinem Leben dazu. Es ist keine Rolle, in die er morgens hineinschlüpft und die er abends wieder ablegt. Peter Schult ist mit ganzem Herzen Arzt und Therapeut. Wer ihn fragt, warum er diesen Beruf gewählt hat, bekommt eine ungewöhnliche Antwort: „Weil die Medizin der Theologie am nächsten ist! Religion und Kirche müssen ein therapeutisches System für die Menschen sein.“ Und an nichts Geringerem möchte er mitwirken. Sein Glaube ist ihm Kompass für sein Leben.

Warum Peter Schult – das A steht für seinen Zweitnamen Alexander – sich schon so früh im kirchlichen Leben zuhause gefühlt hat, kann er gar nicht sagen. „Meine Eltern haben sich darüber gefreut, dass ich regelmäßig zur Kirche ging, kamen aber selten mit“, erinnert er sich. Gemeinsam mit einer älteren Schwester und einem Zwillingsbruder, zu denen er bis heute ein sehr herzliches Verhältnis hat, wuchs er in Gustavsburg auf. Doch auch die beiden waren nicht so engagiert in der Gemeinde wie er.
Spätestens, als Peter Schult ein Jugendlicher war, gab es aber eine zentrale Figur, die ihn für die katholische Kirche begeisterte: Der damalige Pfarrer Heinrich Fleckenstein. Dieser trat seine erste Pfarrstelle in Gustavsburg an, als Schult 14 Jahre alt war: „Er war jung und modern. Er hat sein Haus für uns Jugendliche geöffnet, uns Aufgaben anvertraut“, sagt der Allgemeinarzt. Fleckenstein war es auch, der Jugendfreizeiten in den Bergen anbot und so Schults lebenslange Freude am Bergsteigen weckte.

Viele Jahre hörte er nichts von seinem ehemaligen Pfarrer. Doch manchmal trifft man sich zweimal im Leben. „Stellen Sie sich vor“, berichtet Schult mit leuchtenden Augen, „vor zwei Jahren rief er mich überraschend an und fragte, ob ich ihn mit nach Lourdes nehme.“ Denn bei der jährlichen Diözesanwallfahrt der Bistümer Mainz, Fulda und Limburg in die französische Pilgerstadt fährt Schult regelmäßig als Pilgerarzt mit. Natürlich war es ihm eine Ehre, den inzwischen über 90-jährigen Pfarrer Fleckenstein in seiner Gruppe mit zu betreuen. Der ist inzwischen gestorben – und Peter Schult ist froh, ihm noch einen wichtigen Dienst erwiesen zu haben. Wie ein später Dank für seine gute Jugend in der Kirche.

Den Patienten als Ganzes sehen und behandeln

Wer Peter Schult und seinen offenen Stolz auf alles, was er so erreicht hat, verstehen will, muss sein Leben betrachten. Er ist einer, der durchhalten kann – nicht umsonst ist er bis 70 noch Marathon gelaufen. Schult kommt nicht aus einer Akademikerfamilie. Niemand hat vermutlich eine solche Laufbahn von ihm erwartet. Nach einer Ausbildung zum Industriekaufmann holte er mit 23 Jahren das Abitur am Abendgymnasium nach, studierte Medizin. Er eröffnete seine erste Praxis. Andere wären nun zufrieden gewesen. Er aber studierte nochmals und wurde Psychotherapeut. Da war er wieder: Der Gedanke, aus dem Glauben heraus zuzuhören und da zu sein. „Jeder Patient ist von Gott geschickt“, ist Schult überzeugt.

Dass Gott ihn trägt, hat er auch ganz persönlich erfahren. Über 40 Jahre war er mit seiner ersten Frau verheiratet, mit der er zwei Adoptivkinder hat. Als sie 2014 nach langer Krankheit starb, war es ein großer Schmerz. Doch einige Jahre später fand er spätes Glück: Mit seiner zweiten Frau ist er seit 2020 verheiratet.

Wenn er nicht in seiner Praxis zu finden war in den vergangenen Jahrzehnten, dann in der Kirche: Viele Jahre im Pfarrgemeinderat Astheim, als Vorsitzender des Dekanatsrates, als Begründer der Sternwallfahrt nach Gernsheim. Vieles konnte er auf den Weg bringen. Etwa seinen Trost-Wortgottesdienst, den er alle sechs Wochen gemeinsam mit „guten Musikern“ in Ginsheim hält – einfach, um anderen etwas Gutes zu tun. (2016 wurde ihm für sein besonderes ehrenamtliches Engagement die Martinusmedaille verliehen.)

Klare Standpunkte schließen Treue nicht aus

„Ich liebe meine Kirche, aber ich leide auch an ihr“, bekennt der Arzt. Sehr bewusst erinnert er sich noch an das Zweite Vatikanum: „Das hat mich wahnsinnig geprägt“, sagt er, „wir glaubten damals wirklich an eine Öffnung.“ Und doch hat sich vieles nicht verwirklicht, was er sich damals erhoffte: „Wir haben die Bremskräfte der Kirche unterschätzt.“ Das habe ihn aber nicht verbittert: „Ich bin nicht enttäuscht im Rückblick. Nur traurig um die, die wir so nicht mitnehmen können. Es geht in der Kirche noch zu viel um Macht, um Einfluss und Angst.“ Weiterhin träumt er von einer „offenen Kirche“, die bescheidener auftritt. Treu wird er ihr trotzdem bleiben, weil sie ihm Ort des Glaubens ist. Und der Glaube, das ist schließlich der rote Faden seines Lebens. „Durch sein ständiges Zutun macht Gott uns immer neu zu dem, was wir sein können und wollen,“ sagt er. Man glaubt ihm sofort, dass er da noch einiges vorhat.

Elisabeth Friedgen
Glaube und Leben
August 2023