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„Es gibt keine bösen Menschen“

Freiwilligendienstler besuchen Gefängnisseelsorger in der JVA Rohrbach

Wöllstein. Menschen beistehen, die in einem Gefängnis leben müssen – das ist keine leichte Aufgabe. Eine Gruppe des Christlichen Orientierungsjahrs (COJ) und weiterer Freiwilligendienstler besuchte den katholischen Seelsorger Hubert Frank in der JVA Rohrbach bei Wöllstein, um etwas über seinen Beruf zu erfahren.

Gefängnisse – Parallelwelten vor unserer Haustür. Über 170 gibt es in Deutschland. Wer die JVA Rohrbach besucht, dem wird bewusst, wie schnell wenige Meter Freiheit von Unfreiheit trennen können. Kalt und abweisend wirken schon die hohen Mauern rund um das Gebäude. Wie kann Kirche einen Unterschied machen in einem Leben, das sich verwirkt anfühlt?
Um das herauszufinden, hat sich an einem Vormittag im März eine Gruppe junger Leute am Eingang eingefunden, es sind „COJ’ler“ und solche, die in katholischen Gemeinden oder Kitas einen FSJ oder einen Bundesfreiwilligendienst leisten. Sie alle leben gemeinsam in der christlichen WG im Mainzer Priesterseminar (GuL berichtete). Mit ihrer Betreuerin, Gemeindereferentin Helena Gilbert, werden sie von zwei Seelsorgern der JVA begrüßt: Diakon Hubert Frank, der katholische, und sein evangelischer Kollege Pfarrer Jörg Brauer.

Kraft für die Seele im JVA-Gottesdienst

Die Gruppe folgt den beiden durch viele lange Flure. Sie sind immer wieder durch Sicherheitstüren unterteilt, jede wird aufgeschlossen und hinter der Gruppe wieder abgeschlossen. Zuerst zeigt Brauer einen Raum, der „Arbeitstherapie“ genannt wird. Es wirkt ein bisschen wie in einer Schreinerwerkstatt: Hölzerne Gartenstühle, größere und kleinere Schnitzfiguren sind in Regalen und davor aufgestellt. Alles von Häftlingen gefertigt. Hier können sie stundenweise handwerklich tätig sein und Ablenkung finden.
Weiter geht es in einen großen Mehrzweckraum. Er wird auch für Gottesdienste genutzt und hat als einziger Raum der Anstalt farbig verglaste Fenster, durch die man „die Gitterstäbe nicht so sehr sieht“, wie Frank betont. „Mich hat überrascht, wie freundlich dieser Raum im Vergleich zu der restlichen JVA gestaltet ist“, wird Johanna Schmitz aus der Gruppe später sagen. Die 22-Jährige studiert Soziale Arbeit und Praktische Theologie im dritten Semester.
In einer Nische gibt es ein farbenfrohes Madonnenbild und ein handgefertigtes Kreuz, beides stammt von ehemaligen Insassen. Überhaupt ist der Raum ein Ort, wo die Anonymität der JVA etwas aufbricht: So stecken Gefangene den Seelsorgern manchmal auch selbstgeschrieben Gebete zu, die diese dann im Gottesdienst vortragen.

Ansprechpartner für drei Konfessionen

Frank selbst arbeitet seit sieben Jahren in der JVA; war davor Leiter der Männerseelsorge im Bistum Mainz und ist ausgebildeter Gewalttherapeut. Kollege Brauer ist schon zwölf Jahre dabei, seit zwei Jahren gibt es über ein Pilotprojekt des Justizministeriums auch einen muslimischen Seelsorger. Der Imam bietet im Mehrzweckraum ein Freitagsgebet an und ebenso wie seine christlichen Kollegen besucht er die Häftlinge zu Einzelgesprächen. Zwar müssen diese dafür erst einen Antrag stellen, denn im Gefängnis geht nichts „einfach so“. Doch so ist es möglich, dass die Seelsorger bis zu einmal wöchentlich Besuche machen können.
„Ohnmacht ist hier ein ganz großes Thema“, sagt Frank, als die Runde zum Gesprächskreis zusammensitzt. „Ich sehe hier oft den Bezug zum Kreuzestod Christi. Da war auch ganz viel Ohnmacht, die es auszuhalten galt. Wir als Seelsorger sind dazu da, die Ohnmacht der Häftlinge mit-auszuhalten.“ Die Schicksale hinter der Haft seien vielfältig. „Manchmal hat jemand es einfach wiederholt nicht geschafft, seine Amazon-Rechnung zu zahlen. Manchmal ist es aber auch Fahrerflucht nach einem tödlichen Unfall“, so Brauer. Egal, warum sie zu Häftlingen wurden: „Wir geben diesen Menschen einen Vertrauensvorschuss, wir können sagen: ‚Ich höre dir zu, erzähl deine Geschichte’“, erklärt Frank. „Natürlich muss man schon gewisse Resilienzen mitbringen, wenn man hier arbeitet.“ Doch er habe auch in der JVA die Erfahrung gemacht, dass in jedem Menschen etwas Gutes stecke: „Es gibt keine bösen Menschen. Manche haben nur so einen festen Panzer, dass man nicht an sie herankommt.“

Einerseits „sehr interessant“, andererseits „auch beklemmend“ schildert Johanna Schmitz nach dem Besuch ihre Eindrücke. Beeindruckt habe sie, wie sehr man den Seelsorgern ihre „Passion“ angemerkt habe: „Sie machen da einen sehr guten Job“, findet die Studentin. Ihr eigenes Interesse an dem Beruf der Gefängnisseelsorgerin haben sie auf jeden Fall geweckt. Sie habe aber Respekt davor, wie man sich in dem Beruf abgrenzen kann. „Vielleicht muss man erst viel Berufserfahrung sammeln, um sich auf so eine Stelle einzulassen“, überlegt sie.
Hubert Frank, der sich im Sommer in den Ruhestand verabschieden wird, hat eigene Strategien zur Stressbewältigung entwickelt: „Man darf hier trotz allem Anspruch nicht die Welt retten wollen“, meint er. Als Ausgleich fährt er in seiner Freizeit gern Cajak, um den Kopf freizubekommen. Schon jetzt blickt er zufrieden auf seine Zeit in der JVA: „Ich bin dankbar, dass ich hier Kirche in einer ganz eigenen Form erfahren habe. Man kann hier Menschen zum Leben helfen, und das ist ja auch unser Auftrag.“

Kastentext:

Arbeit im Team
Die Seelsorger arbeiten im Team mit Psychologen und dem Sozialdienst. Letzterer kümmert sich auch darum, wie es für die Insassen nach der Haft weitergeht, sodass sie nach ihrer Entlassung nicht völlig ihrem Schicksal überlassen sind. In der JVA Wöllstein sind 80 weibliche und über 300 männliche Häftlinge untergebracht.

Elisabeth Friedgen
Glaube und Leben
Mai 2023