Zum Inhalt springen

Glaubensort Familie

In Deutschland gibt es immer weniger Familien, in denen Religion gelebt wird. Nach dem aktuellen Religionsmonitor der Bertelsmann-Stiftung gab nur jede vierte Person in Deutschland im Alter von 16 bis 24 Jahre an, religiös erzogen worden zu sein. Warum ist es manchen Eltern dennoch wichtig, ihren Glauben zu vermitteln? Drei Familien im Portrait.

Abends, wenn es dunkel wird, zündet Dominic Gilbert mit Marie und Carlotta die Kerzen bei der Lourdes-Madonna im Garten an. Es ist Vater-Töchter – Zeit: Gelegenheit, darüber zu reden, was sie beschäftigt und Gott und der Gottesmutter ihren Dank und ihre Bitten darzubringen. Mit Mutter Helena Gilbert kuscheln sich die beiden neun und zwölf Jahre alten Mädchen gerne auf dem Sofa zusammen, lesen gemeinsam Bücher und reden wörtlich über Gott und die Welt. Der sonntägliche Gottesdienstbesuch, das gemeinsame Beten und eine alljährliche Fahrt nach Taizé gehören zum Familienleben der Gilberts ganz selbstverständlich dazu. Der Weihnachtsmann war nie Thema, auch wenn es natürlich Geschenke gibt. Es war immer klar, an Weihnachten feiern sie die Geburt Christi. Unter den Mitglieder der römisch-katholischen Kirche scheint weiterhin die Weitergabe des Glaubens in der Familie wichtig zu sein. Nach dem Religionsmonitor erklärten 92 Prozent aller befragten Katholiken, religiös erzogen worden zu sein.


Glaube soll Spaß machen


„Ich denke, durch die religiöse Erziehung erleben die Kinder mehr Sinnhaftigkeit, mehr Tiefgang im Leben. Es gibt im Leben eine größere Dimension. Ich möchte den Kindern auch gerne ein gewisses Urvertrauen vermitteln, dass jemand sie im Leben begleitet, dass sie Vergebung und Versöhnung erfahren. Sie müssen die Herausforderungen des Lebens nicht alleine meistern“, meint Helena Gilbert, die als Gemeindereferentin in einer Pfarrei in Mainz arbeitet. Die Familie wohnt in einem Haus in Bermersheim bei Alzey, dem Geburtsort der heiligen Hildegard. „Wir haben hier in der Gegend ein bezahlbares Haus gesucht. Als wir das hier gefunden haben, habe ich zur heiligen Hildegard gebetet, und gefragt, ob wir es kaufen sollen. Ich hatte das Gefühl, dass sie dem zustimmt“, erzählt Dominic Gilbert, Pastoralreferent in Rheinhessen. Beiden ist wichtig, dass die neun und zwölf Jahre alten Töchter ein schönes Gemeinschaftsgefühl erfahren, etwa bei Familienwochenenden der Gemeinde. Dominik Gilbert besucht mit den Töchtern Wallfahrtsorte wie Kevelaer oder Banneux in Belgien. Nach dem Gottesdienst gehen sie zusammen auf den Spielplatz oder ein Eis essen. Ihre Devise: „Glaube soll Spaß machen.“ Die Eltern möchten ihren Kindern ein Vorbild sein und ihnen vermitteln, den Blick für den nächsten zu haben. „Wir nehmen uns Zeit, wenn wir Obdachlose antreffen. Es ist schön zu sehen, dass die Mädchen sich jetzt auch mit ihnen unterhalten“, erzählt die Mutter. Die Eltern sind überzeugt: „Die Kinder profitieren auf jeden Fall von religiöser Erziehung, egal welche Glaubensrichtung es ist.“

In den Küchenschränken von Familie Quensel aus Frankfurt gibt es zwei Sorten Pfannen und Töpfe. Denn die jüdischen Speisegesetze sehen vor, dass Milch und Fleisch nicht im selben Kochgeschirr zubereitet werden dürfen. Auch sonst ist das Judentum im Alltag sehr präsent bei den Quensels. Am Freitag Abend gehen Anastasia Quensel, ihr Mann und ihre beiden 14 und 17 Jahre alten Kinder in die Synagoge, mindestens aber Vater und Sohn. „Meinem Sohn ist das sehr wichtig. Er hilft auch samstags im Jugendzentrum der Synagoge in Wiesbaden mit“, erzählt seine Mutter.
Sie selbst stammt aus St. Petersburg, kam mit ihren Eltern nach der Wende nach Aachen. Später zog sie nach Frankfurt, wo sie in der jüdischen Gemeinde ihren Mann kennenlernte. Anastasia Quensel arbeitet im Jugendreferat der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) und engagiert sich in ihrer Freizeit im Gemeinderat der jüdischen Gemeinde Frankfurt. Sie habe selbst erst als junge Erwachsene ihre Religion so richtig für sich entdeckt, erzählt die 39-Jährige. Ihre Kinder werden „ganz selbstverständlich“ mit dem Judentum groß. Beide besuchen ein jüdisches Gymnasium in Frankfurt, sodass auch ihr Freundeskreise größtenteils jüdisch sind.
Wenn die Familie am Freitag Abend aus der Synagoge kommt, sind die Mahlzeiten für die Zeit bis zum Samstag Abend vorbereitet. Alle elektrischen Geräte haben die Quensels über Zeitschaltuhren programmiert. Denn bis am Samstag die Sonne untergegangen ist, dürfen sie nicht betätigt werden. Auch Handys und Computer sind tabu. Samstags geht die Familie zum Gebet wieder in die Synagoge, „danach sitzen wir dort oft noch bis nachmittags mit anderen Familien zusammen“, erzählt Anastasia Quensel.
Authentisch die eigene Überzeugung vorleben
Ihren Glauben vorzuleben, findet sie weniger eine Notwendigkeit als eine Selbstverständlichkeit. „Wie soll ich meinen Glauben nicht vermitteln, wenn ich ihn doch lebe?“, fragt sie. Dabei möchte sie ihrem Sohn und ihrer Tochter trotzdem nichts aufzwingen. Auch wenn ihr manche Regeln wichtig sind. So könnte sie es zwar nicht akzeptieren, wenn die Kinder ein Schweineschnitzel essen wollten. „Aber wenn sie mal keine Lust haben, die Synagoge zu besuchen, dann ist das okay.“ Wichtig findet Anastasia Quensel, dass die Gemeinde ihren Kindern die Möglichkeit gibt, sich sozial zu engagieren. Und sie möchte durch die religiöse Erziehung Werte vermitteln: „Ich wünsche mir, dass sie zu guten Menschen werden. Die Religion kann ihnen dabei helfen.“

Ähnlich wie bei Familie Quensel ist auch der Alltag von Familie Noureddine von religiösen Riten geprägt. Iman Noureddine (33) ist schiitische Muslimin und lebt mit ihren beiden Söhnen (12 und 13) und ihrer Tochter (8) in einer Kleinstadt in der Pfalz.
Morgens treffen sich Iman Noureddine und ihre Kinder zum gemeinsamen Gebet. Ihre Söhne seien grade in einer Phase, wo sie nicht immer Lust dazu hätten, sagt Iman Noureddine. Die kleine Tochter, die samstags auch eine arabische Schule besucht, habe aber viel Freude daran. „Sie kann schon viele Verse des Koran auswendig“, berichtet die Mutter.
Nourredines Eltern stammen aus dem Libanon, sie selbst ist in Niedersachsen geboren. Als Kind hatte sie nur wenige deutsche Freundinnen, durften nicht zu Klassenfahrten oder andere Kinder besuchen. „Vielleicht wollten meine Eltern uns damit vor fremden Einflüssen schützen, damit wir den Bezug zu unserer Religion nicht verlieren. Das hat mich aber auch einsam gemacht“, sagt sie.


Die Religion nicht verstecken


In der Erziehung ihrer eigenen Kinder macht sie das anders: „Religion ist wichtig, aber Offenheit mindestens genauso.“ Das bedeutet für sie, als gläubige Muslimin Teil der deutschen Gesellschaft zu sein und ihren Kindern zu zeigen, wie das gehen kann. Ganz selbstverständlich als Mama mit Kopftuch.
„Vorbild sein heißt für mich, die Dinge nicht vorzusagen, sondern vorzuleben.“ Sie war Elternsprecherin an der Schule ihrer Kinder, hilft dort beim Backen der Weihnachtsplätzchen, besucht die Fußballspiele ihrer Söhne. Sie freut sich, wenn ihre Kinder die täglichen Gebete mitsprechen, zwingt sie aber nicht dazu. Wenn sie zur Schule gehen, ruft sie ihnen den arabischen Gruß „Salam aleikum“ (Friede mit dir) hinterher.
Das Kopftuch war übrigens ein Thema, bei dem ihre eigenen Eltern sehr tolerant waren. Mit 12 Jahren wollte Iman Noureddine es selbst tragen. Mit 14 fühlte sie sich nicht mehr wohl damit. Der Vater erlaubte ihr ohne Vorwurf, es auszuziehen. Mit 17 zog sie es wieder an und behielt es bei. Heute sagt sie „Es gehört zu mir.“ Sie möchte, dass ihre eigene Tochter sich selbst aussucht, ob sie später ein Kopftuch tragen will. „Natürlich würde ich mich darüber freuen. Aber es ist allein ihre Entscheidung.“
Was sie ihren Kindern vom Islam mitgeben möchte: „Ich wünsche mir, dass sie später einmal jeden Tag die fünf Gebete sprechen. Ich hoffe, dass sie auf Schweinefleisch und Alkohol verzichten. Aber am wichtigsten ist es ihr, „dass sie von dem, was sie tun, überzeugt sind und ehrlich durchs Leben gehen.

Die Studie


Der Religionsmonitor der Bertelsmann-Stiftung 2023 analysiert die religiösen Einstellungen in Deutschland. Es zeigt sich, dass die Pluralisierung sowie die Individualisierung des religiösen Bereichs deutlich zugenommen haben. Für ein besseres Verständnis haben die Autoren die religiöse Sozialisation untersucht. Wie in früheren Untersuchungen konnte ein weiterer Rückgang religiöser Erziehung festgestellt werden. Gegenwärtig gibt nur jede dritte Person an, religiös erzogen worden zu sein. Damit gehe „eine Erosion religiöser Milieus einher“, heißt es in der Studie. Personen, die nicht religiös erzogen worden sind, glauben nur selten an die Existenz von etwas Göttlichem, nehmen nur selten an religiösen Ritualen teil und halten sich selbst für weniger religiös. Aber auch nur 31 Prozent der religiös sozialisierten schätzen sich als ziemlich oder sehr religiös ein und nur 23 Prozent nehmen an Gottesdiensten oder dem Freitagsgebet teil. Religiöse Erziehung bewirkt aber dennoch etwas. 90 Prozent der 16-35-Jährigen, die sagen, sie seien religiös sozialisiert worden, glauben an Gott oder etwas Göttlichem. Die Studien-Autoren folgern, dass Religion zwar als Gottesglaube nach wie vor gesellschaftlich verankert ist und weitergegeben wird, dass jedoch vor allem die die jüngere Generation weniger in traditionellen Religionskontexten sozialisiert werden.