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Harry bringt Entspannung rein

Tiere können Herzen öffnen und Sorgen verschwinden lassen. Das schafft Harry, ein rüstiges Therapiepony, dass alles für eine Karotte tun würde. Alltagsbegleiter Stefan Heyde bietet mit dem Helfer auf vier Hufen eine besondere Bereicherung für „seine“ Senioren.

Wenn Stefan Heyde von seiner Arbeit mit Harry erzählt, dann fehlt eigentlich nie die Geschichte mit der 102-jährigen Dame. Sie konnte nicht mehr laufen und wusste, dass ihr nicht viel Lebenszeit blieb. Als sie hörte, dass ihr Alltagsbegleiter ein Therapiepony hat, bat sie um die Erfüllung eines letzten Wunsches: Noch einmal im Leben ein Pferd streicheln! Und Heyde schaffte es, diesen Wunsch zu erfüllen: Im Rollstuhl wurde sie zu Harry gebracht, streichelte und fütterte ihn und „strahlte über beide Ohren“, erzählt er. „Dieses Glück mitzuerleben“, sagte er, werde er nicht vergessen.

Aufwand, aber eben auch viel Freude stecke für ihn selbst in seinem Projekt „Zeit und Hufe“, das inzwischen ein fester Bestandteil seiner Alltagsbegleitung ist. Normalerweise besucht der gelernte Krankenpfleger allein „seine“ Senioren, um sie im täglichen Ablauf zu unterstützen: beim Einkaufen, Arztbesuche, gemeinsam kochen, Vorlesen und vieles mehr gehören zum Angebot. Und seit zwei Jahren eben auch Zeit mit Harry, dem geduldige Isländer mit den treuen braunen Augen.

Dass er mal ein Pony besitzen würde, das hätte Stefan Heyde früher nicht gedacht. Denn ein Reiter ist er nie gewesen. Nach seiner Ausbildung arbeitete er zunächst im Krankenhaus, später in einem Seniorenheim. Dort erlebte er zum ersten Mal, wie Ehrenamtliche des Malteser Besuchsdienstes mit Hund zu den Bewohnerinnen und Bewohnern kamen – und wie gut den alten Menschen das tat. Damals kam er aber noch nicht auf die Idee, sich selbst in tiergestützter Intervention weiterzubilden. So heißt es im Fachjargon, wenn Pflegepersonal oder Ehrenamtliche Therapietiere bei ihrer Arbeit einsetzen.

Zeit haben – eine Kostbarkeit

Zunächst stellte Heyde über die Jahre fest: Sein Job in der Pflege machte ihm immer weniger Freude: „Im Krankenhaus war es zunehmend Fließbandarbeit. Und auch später im Seniorenheim hatte ich immer das Gefühl, den Menschen nicht das geben zu können, was sie wirklich gebraucht hätten.“ Ein Dilemma, für das der 42-Jährige eine Lösung fand: Vor einigen Jahren baute er Stück für Stück seine Alltagsbegleitung auf und machte sich schließlich damit selbständig. Die Idee: Weniger Routine, weniger Bürokratie, mehr Zuwendung. „Wir haben Zeit“ – so ist es im Logo seines Arbeitsshirts eingestickt. Die Kostbarkeit der Zeit, sie hat in seinem Beruf den Unterschied gebracht. Inzwischen betreut Stefan Heyde rund 30 Kunden in seinem rheinhessischen Wohnort Nieder-Olm und dem Umkreis.

Irgendwann erinnerte er sich wieder an die Hunde im Altenheim. Und daran, wie gerade Menschen mit Demenz durch die Begegnung mit den Tieren aufgeblüht waren. „Das Gehirn demenzkranker Menschen gleicht einem Bücherregal, in dem die neuesten Ausgaben ständig herausfallen“, erklärt er. Die älteren „Bücher“ hingegen blieben oft lange erhalten. Tiere kennen die meisten Menschen von Kindheit an. Jeder hat irgendwann einmal einen Hund gestreichelt, auf einem Ponyrücken gesessen. Oft sind diese Erfahrungen positiv besetzt. Manch einer ist vielleicht auf einem Bauernhof aufgewachsen. „Da können wir mit Tieren in der Therapie anknüpfen, da werden Erinnerungen wach“, so der Alltagsbegleiter. Erinnerung wiederum gibt dementen Menschen Sicherheit. „Harry, sagt Heyde, „bringt immer ganz viel Entspannung rein.“

In 180 Stunden zum Demenzpferd

Die Idee zum Pferd als Therapietier kam letztlich von seiner Frau. „Sie wollte eigentlich schon immer eins haben“, schmunzelt Heyde. Mit Harry fanden sie vor zwei Jahren dann das ideale Tier für ihre Idee: Ein nicht mehr junges Schulpferd mit ausgeglichenem Charakter, lernfähig und freundlich. Auch ein Stellplatz für Harry war schnell gefunden: Bei einem Ponyhof im Nachbarort war ein Stall frei. Nun mussten Harry und sein Besitzer sich erst einmal gemeinsam fortbilden. Der Isländer erhielt eine Sonderausbildung zum „Demenzpferd“, Stefan Heyde zur Fachkraft für tiergestützte Intervention. Das Pony lernte dabei etwa, keine Angst vor Rollstühlen zu haben und Ruhe zu bewahren, wenn er warten muss. Nach 180 Stunden Pauken von Theorie und Praxis bestanden sie die Prüfungen.

Inzwischen ist es auf einigen Spazierwegen ein gewohntes Bild für die Anwohner: Das kleine Gespann aus Harry, seinem Besitzer und den Senioren. Heyde hat sorgfältig Wege ausgewählt, die bei Wind und Wetter für Gehhilfen und Rollstühle geeignet sind. Heydes Ehefrau ist auch immer dabei, wenn ein Ausflug mit Harry ansteht. Dann ist im Zweifel einer für Harry da und einer für den Kunden. Doch das das Pony bockt oder ausbüxt, ist sehr unwahrscheinlich. Der Isländer zählt mit seinen 29 Jahren selbst zu den Senioren. Heyde beschreibt ihn zudem als besonders friedlich, aufgeschlossen und neugierig. Zum Beispiel auf Fressbares: „Für eine Karotte macht er schon alles“, sagt Heyde lachend. Inzwischen ist er fast überzeugt, dass das Pony zählen kann. „Wenn wir gemeinsam unterwegs und ich mich zurückfallen lasse, bleibt Harry stehen, bis alle wieder komplett sind. Harry wartet, Harry hat Zeit. Er ist der perfekte Mitarbeiter für eine Alltagsbegleitung, deren größtes Pfund dies ist: Zeit schenken können und gemeinsame Erlebnisse, die Vertrauen schenken.

Zur Sache:

Eine gute Zeit mit Helfern auf vier Beinen

Die Angebote im Pflegebereich und auch in der Pädagogik mit tiergestützter Intervention nehmen stetig zu. Der Malteser Hilfsdienst etwa arbeitet schon seit vielen Jahren mit Besuchshunden, die Ehrenamtliche in Seniorenheime begleiten. Viele Schulen verfügen über einen Schulhund, der die Klassen besucht. Pferde und Hunde werden bislang am häufigsten für Therapie und Begleitung eingesetzt. Aber auch Schafe und Kleintiere wie Meerschweinchen sind im Einsatz, etwa bei der Therapie von ADHS. Mehr Informationen auch unter www.tierschutzbund.de