Als Denise Becker aus Ober-Olm im Dezember nach Sri Lanka zurückgekehrt ist, war sie schockiert. Kinder, die im Unterricht vor Hunger ohnmächtig werden, das hatte sie noch nicht erlebt. Die 37-Jährige hatte von 2016 bis 2020 in Südasien gelebt und für die Organisation „Child Action
Lanka“ als Logopädin gearbeitet. Ende letzten Jahres verbrachte sie dort ihren Urlaub, um Freunde wiederzusehen. Umgekehrt war die Gründerin des Vereins Debbie Edirisinghe auch zu Besuch in Ober-Olm und hat von der Krisen-Situation berichtet. Die Organisation hat über das Land verteilt acht Hilfszentren aufgebaut und betreut dort 2000 Straßenkinder. Sie kümmern sich um Bildung, Gesundheit, Sicherheit, vor allem vor Missbrauch, und Ernährung. Das wichtigste Ziel: Den Mädchen und Jungen eine stabile Umgebung bieten. Es gibt dort ein Babycenter und einen Kindergarten, in denen Kinder betreut werden, während die Mütter arbeiten. Die älteren Mädchen und Jungen besuchen dort die Schule, bekommen eine warme Mahlzeit, und nehmen nachmittags an Therapien oder anderen Projekten teil, die ihre Entwicklung fördern sollen. „Die Kinder haben Riesenprobleme, die ganz tief gehen. Wenn ich manchmal mit Logopädie angefangen habe, habe ich schnell gemerkt, dass ich das Kinder in der Gesamtheit mit seinen Schwierigkeiten sehen musste. Eine Therapie konnte zu einer Retraumatisierung führen, die eine andere Therapie nötig machte“, berichtet die Ober-Olmerin. Und jetzt kommt die Wirtschaftskrise dazu. Während die Organisation anfangs Bildung als oberstes Ziel hatte, um den Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen, ist jetzt ihre vornehmliche Aufgabe die Kinder satt zu bekommen. „Unsere Organisation gibt es seit 2006. Es war in all den Jahren nie so wichtig, dass es uns gibt, wie jetzt. Zu meinen Lebzeiten habe ich so eine Krise noch nicht erlebt. Die Lebensmittelpreise explodieren. Das Land fällt auseinander“, berichtet 43-Jährige auf Englisch. Die Ursachen seien die Folgen der Corona-Pandemie mit einem strikten Lockdown und Misswirtschaft. Wer kann, verlasse Sri Lanka. Mütter ließen ihre Kinder zurück, um an einem anderen Teil der Welt Geld für die Familie zu verdienen. 50 000 Ärzte seien bereits ausgewandert. In der Hauptstadt Colombo kämen Straßenkinder in ihr Zentrum, erzählt Edirisinghe, die erst einmal Essen lernen müssten. Die Kinderhilfsorganisation plante um und entschied ein neues Projekt zu starten: „A Cup of milk“ (ein Becher Milch). Sie verteilen Milchbecher an Schulen und andere Anlaufstellen im ganzen Land, denn Milch ist ein Luxusgut geworden. Nach Anfragen von Schulleitern organisierten sie zunächst 10 000 Becher Milch. Es kamen immer mehr Hilfsrufe und jetzt haben sie bereits 60 000 Becher an Kinder verteilt. Manche kämen jetzt nur in die Schule, um Milch zu bekommen. Das bewundert Denise Becker an der Hilfsorganisation, das sie auf jede Herausforderung reagiert und flexibel nach einer Lösung sucht. Und Debbie Edirisinghe hat viel Respekt vor Denise Becker. „Wer verlässt denn schon freiwillig ein Land wie Deutschland, um in Sri Lanka zu leben, und nicht dort, wo die tollen Strände sind“, meint sie.
Theresa Breinlich
Allgemeine Zeitung
März 2023
Foto: Denise Becker