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Wie Andrea Keber der Befreiungsschlag gelang

Plakate hochhalten, streiken, Erstkommunionvorbereitung, Pfarrbrief drucken und beten, das gehört für Andrea Keber zusammen, das gehört zu ihrem Glaubensleben. Denn, die tolle Botschaft von Jesus von Nazareth, dass Gott alle Menschen gleichermaßen liebt, dürfe nicht dadurch verdunkelt werden, dass die Kirche Menschen ausschließt. Dafür setzt sie sich ein. Die 57-Jährige ist langjährige Pfarrgemeinderatsvorsitzende in St. Franziskus Nieder-Olm, Sörgenloch, Zornheim, treibende Kraft beim „Powerclub“ der Pfarrei für Jugendliche mit Behinderung sowie Vorsitzende von „Maria 2.0 Nieder-Olm“ und Mitglied der Frauenkommission des Bistums Mainz. „Ich bin katholisch aufgewachsen. Der Glaube war immer da. Ich bin nicht ständig zum Beten in die Kirche gegangen. Es war einfach ein Grundvertrauen da, dass es etwas gibt, das trägt. Aus diesem Glauben heraus engagiere ich mich“, erzählt die gelernte Bankkauffrau. Es gab einen Moment in ihrem Leben, da spürte sie, wie sehr der christliche Glaube ihr Leben prägt. Als bei ihrem Sohn eine Behinderung festgestellt wurde, gerieten viele Selbstverständlichkeiten ins Wanken. Auch wenn sie selbst die Zukunft nicht überblicken konnte, spürte sie immer diese Kraft, die sie trägt. „Mit anderen zusammen den Glauben zu leben, das ist mir wichtig. Da ist jeder Mensch ist anders. Mir macht das Engagement mit und für andere Freude“, sagt die gebürtige Rheinhessin. Um diese Gemeinschaft vor Ort und in der Welt sorgt sie sich seit einigen Jahren. Es sei für sie schon immer verletzend gewesen, dass Frauen nicht die gleichen Rechte hätten wie Männer. Der Ausschluss von wiederverheirateten Geschiedenen, die „unmenschliche Sexualmoral“, die die Institution als „richtig“ erachtet, das seien alles Themen, die in ihr arbeiteten. Der Missbrauchsskandal habe viele Probleme noch drängender gemacht. „Es fehlen mir immer noch die Worte, dass die Täter geschützt wurden, nicht die Opfer. Das System hat den Missbrauch begünstigt. Hier ist der Umgang mit Macht ein Thema“, sagt sie. Als die Initiative Maria 2.0 vor zwei Jahren in Münster gegründet wurde, war sie jedoch erst zögerlich, ob sie sich anschließen sollte. „Dürfen wir das?“ „Geht hier etwas kaputt, wenn wir unsere Verletzungen und Ärger öffentlich machen?“ „Interessiert das überhaupt jemanden?“. Das waren Fragen, die sie und andere Mitglieder der Pfarrei umtrieben. Doch als die Entscheidung gefallen war, dass sie sich am Streik im Mai 2019 beteiligen, sei das wie ein „Befreiungsschlag“ gewesen. „Endlich tut sich was!“, war das Gefühl, das sich bei ihr und anderen Nieder-Olmern einstellte. Das motivierte. Regelmäßig trafen sie sich bis zur Pandemie auf dem Mainzer Marktplatz, um ihre Forderungen öffentlich zu machen. Jetzt starten sie wieder. Sie beteiligten sich am Thesenanschlag im Februar, geben Broschüren heraus und organisieren immer wieder eigene Gottesdienste, wie Agapefeiern, zu denen Menschen manchmal hundert Kilometer anreisen. Der Druck müsse noch steigen, meint Keber. Einige sehr engagierte Katholiken seien in der Pfarrei St. Franziskus schon ausgetreten. Sonst bliebe nur noch ein „heiliger Rest“ übrig, fürchtet sie. Tradition sei kein Argument gegen Reformen. „Jesus war den Menschen zugewandt. Daher steht es uns auch nicht zu, Menschen auszuschließen. Wenn Jesus nur auf die Tradition geachtet hätte, gebe es heute kein Christentum. Er würde Reformbewegungen anführen“, ist die Mutter dreier Kinder und Großmutter zweier Enkel überzeugt. Wenn Paare eine Segnung wünschen, dann sollte die Kirche ihn spenden. „Sie kommen ja zu uns, weil ihnen ihre Beziehung und der Segen wichtig ist, sonst würden sie sich ja nicht bemühen. Da sollten wir nicht urteilen“, sagt Keber. Auch das Argument, die katholische Kirche in Deutschland müsse auf die Weltkirche Rücksicht nehmen überzeugt sie nicht. „Die Kirche kann ja allumfassend sein und trotzdem gibt es Unterschiede. Wenn das Pflichtzölibat fällt, heißt das ja nicht das alle Priester plötzlich heiraten müssen. Jeder kann nach seinem Charisma leben. Was würde es für alle Frauen in Afrika oder Asien bedeuten, wenn in der Kirche die Frauenrechte gestärkt würden?“, ist die Nieder-Olmerin der Meinung. Niemand bräuchte Angst zu haben vor der Reformbewegung. „Angst vor Veränderung ist verständlich. Wir wollen aber doch niemanden etwas wegnehmen, sondern etwas dazunehmen. Wer lieber zu einem Mann zur Messe geht, der soll das in Zukunft auch weiter machen dürfen“, erklärt sie. Sie engagiert sich weiter, auch wenn sie Zweifel hat, ob sie jede ehrenamtliche Aufgabe annehmen sollte. „Ich frage mich schon immer mal wieder, ob es richtig ist, mit meiner freiwilligen Arbeit das System am Laufen zu halten. Viele Lücken entstehen ja dadurch, dass Priester fehlen, Engagierte der Kirche den Rücken zukehren und Gelder fehlen. Es ist eine Mangelverwaltung, anstatt dass man Probleme grundsätzlich angeht“, findet sie. Aber so lange sie es Zeichen der Hoffnung wie die Frauenkommission im Bistum Mainz gebe, mache sie weiter. „So etwas wäre vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen. Ich gebe der Kirche noch eine Chance und erwarte klare Zeichen zur Veränderung in Rom. Es ist ja klar, dass sich eine Institution sich nicht von heute auf morgen ändern kann. Es darf aber nicht mehr drumherum geredet werden. Frauen müssen Zugang zu allen Weiheämtern haben“, fordert sie.

Theresa Breinlich
Bistumspresse
Oktober 2021