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Wie geht heute Kirchenbau?

Sonnenstrahlen dringen durch das Dachfenster. Der Altarraum wird lichtdurchtränkt. Es ist still. Der Blick kann sich entspannen. Ein Stein-Altar, Kreuze, Tabernakel, Holz-Madonna mit Kind sind die einzigen Reize. Den Besucher umgibt eine weiße Wand. Ist sie ganz weiß? Oder leicht schattiert? Wie hat der Maler das gemacht? Vielleicht sind es Wolken wie im Himmel? Sehen die Lampen aus wie Vögel oder aufgeschlagene Bibeln? Es ist letzteres. Sie orientieren sich an den Patron der katholischen Kirche in Steinbach im Taunus, den heiligen Bonifatius, der sich mit dem Buch vor Dolchstößen geschützt haben soll. „Der zweite Blick, das beiläufige Bemerken, ist ein Wesensmerkmal eines spirituellen Raums. Die künstlerischen Elemente, drängen sich nicht auf. Das setzt eine Interaktion in Gang zwischen dem Raum und dem Besucher. So entsteht eine gespannte Aufmerksamkeit. Sie ist offen für neue Erfahrungen, mit sich selbst oder im christlichen Sinne mit Gott, für religiöse Erfahrungen“, erklärt Architekt Roland Effgen im Kirchraum, erbaut 2013. Das Architekturbüro Kissler-Effgen hatte den Neubau mit integrierten Gemeindezentrum geplant. Die Vorgängerbauten aus den 1960er Jahren waren zu groß geworden, da die Mitgliederzahl zurückging. So entschied sich die Gemeinde für einen kompaktes, energetisch günstiges Gebäude. Ein Teil des Grundstücks wurde verkauft, die alte Kirche abgerissen und darauf ein Seniorenwohnheim erreichtet. Kreuze, ein Teil des Altars und Stücke der Glasfenster wurden in das neue Konzept integriert. Das Partner-Architekturbüro aus Wiesbaden ist spezialisiert auf spirituelle Räume, seit sie vom Bistum Limburg mehrere größere Aufträge erhalten haben und auch 2003 den Neubau der Deutschen Bischofskonferenz geplant haben. Es gibt einiges zu tun. Hinsichtlich der kirchlichen Immobilien ist ein gewisser Druck zur Veränderung da, wie Steinbach sie bereits durchlebt hat. In Eschborn wurde ähnlich verfahren. Die Kirche Christkönig wurde 2017 neu errichtet, auch um Energiekosten zu sparen. Das Projekt war Teil des Programms „Sparen und erneuern“ des Bistums Limburg. Für St. Bartholomäus in Köln-Ehrenfeld hat das Architekturbüro ein Kolumbarium, eine Urnengrabkirche entworfen. Seit 2014 wird nun dort die Asche von Verstorbenen in Grabkammerwänden beigesetzt. In Siershahn im Westerwald ist ein ähnliches Projekt in Planung. Neue spirituelle Räume entstehen derzeit in überkonfessionellen Kapellen, die teils von Privatleuten oder Stiftungen finanziert werden. In Wiesbaden Sonnenberg befindet sich eine Feldkapelle, ein Projekt der Stiftung „Matthäus 7, 12“. In Zornheim in Rheinhessen soll im Herbst eine Weinbergskapelle eingeweiht werden, gestiftet vom Unternehmer Peter Eckes. In Mechernich befindet sich seit 2007 die Bruder-Klaus-Feldkapelle, erbaut von einer gleichnamigen Stiftung. „Bei den Landschaftskapellen geht es auch darum, einen Ort zu markieren, ihm eine besondere Bedeutung zu verleihen“, meint der Architekt. Effgen orientiert sich bei seinen Konzepten eher an der Dorfkirche als an der Kathedrale als bauliche Machtdemonstration. „Dieser Raum ist eine Ausnahme im Tagesgeschäft, denn er zeichnet sich durch absolute Zweckfreiheit aus. Bei sakralen Bauten steht der ideelle Aspekt sehr weit im Vordergrund“, erklärt er. Die Herausforderung bestehe darin, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, die grundlegenden Gestaltungsmittel der Architektur, die Raumbildung, das Licht, die Konstruktion, Material und Farbe in den Vordergrund zu stellen. Sicherheit, Technik und Akustik müssten berücksichtigt werden, dürften aber nicht in den Vordergrund treten. Die Akustik sollte so eingestellt sein, dass sich die Besucher wohl fühlen, wenn gesprochen wird, das heißt, die Raumgröße und die akustische Erfahrung stimmen überein. Bei der Farbgebung plädiert Effgen eher zur Zurückhaltung. Er verzichtet auf Kontraste und bevorzugt authentische Materialien. Diese Gestaltungselemente sollen die Menschen zur Ruhe kommen lassen. „Gerade in unseren Städten, deren urbanes Leben auf hohe Effizienz und Gewinnstreben ausgerichtet ist, wo das kulturelle Event oft über den Gehalt des Dargebotenen gestellt wird, stellen Orte der Ruhe, der inneren Einkehr, aber auch der Zuflucht und Kontemplation einen wichtigen Gegenpol dar“, sagt Roland Effgen.

Theresa Breinlich
Hessische Kirchenzeitung
Juli 2021