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Wie möchte die katholische Kirche für gute Priester sorgen?

 „Wer wird heute noch Priester?“, hat die Deutsche Bischofskonferenz gefragt und eine gleichnamige Studie in Auftrag gegeben. Ihre Vorstellung sorgte für viel Aufsehen. „Das Ergebnis der Studie ist mehr als bedenklich“, hieß es etwa bei katholisch.de. Studienleiter Matthias Sellmann sagt: „Um ein starkes Bild zu benutzen: Die jungen Priester laufen in das ´offene Messer` normaler Gemeindesituationen in Deutschland.“ Die Rede ist von Überforderung im Ausfüllen von Führungspositionen und Fremdeln mit der modernen Welt, der Nachwuchs käme aus einem austrocknenden Milieu.

Gibt es nicht nur einen Priestermangel, der immer gravierender wird, sondern auch eine Ausbildungskrise? Kaplan Benjamin Weiß aus dem Pastoralraum Bingen wurde 2020 zum Priester geweiht. Bevor er ins Priesterseminar eintrat, war er bereits Diplom-Theologe. Weiß ist mit seiner Ausbildung zufrieden und fühlt sich gut vorbereitet.

Die größte Herausforderung sieht er darin, als Pfarrer meist auf sich alleine gestellt zu sein. Insbesondere die Zeit des Propaedeutikum in Freiburg und die anschließende Reise nach Israel fand er in diesem Punkt sehr hilfreich. Das Propaedeutikum ist im Bistum Mainz eine sechsmonatige Orientierungsphase vor Beginn der Seminarausbildung. Unter anderem gehört ein Sozialpraktikum dazu. „Ich bin oft wie jetzt alleine im Pfarrbüro, auch, wenn wir hier ein sehr gutes Team sind. In Freiburg konnte ich erfahren, dass wir viele sind, keine Einzelkämpfer, sondern Teil der großen Kirche. Wir haben uns untereinander vernetzt und den Umgang mit unterschiedlichen Meinungen eingeübt. Die Erfahrung in Israel war sehr bereichernd“, erinnert er sich.

Er denkt, angehende Priester sollten darauf vorbereitet werden, mit Enttäuschungen umzugehen. „Ich habe noch die Volkskirche kennengelernt. Es ist frustrierend zu sehen, wie sie immer mehr schwindet, wie wir junge Menschen nicht mehr erreichen können“, denkt er. Dazu kämen enttäuschte Erwartungen der Gemeindemitglieder hinsichtlich der Reformfähigkeit der Kirche. „Wie sollen wir das Problem aufgreifen? Ich bin auch davon überzeugt, dass Reformen unbedingt nötig sind“, sagt er.

Auch Regens Michael Leja vom Bistum Mainz ist sich sicher, dass die Priester gut vorbereitet werden. Manche Aussagen der Studie seien zu pauschal. „Wir sind überzeugt, dass unsere Priesteramtskandidaten gut geeignet sind. Wir haben einen hohen Qualitätsanspruch“, sagt er und fährt fort: „Der Priesterberuf ist anspruchsvoll. Wir schauen, ob die Kandidaten gut gerüstet sind. Wir lassen sie nicht ins offene Messer laufen. Es gibt Semestergespräche. Wir haben auch eine Fürsorgepflicht“, erklärt er weiter. Eine unabhängige Psychologin würde prüfen, ob die Kandidaten in guter psychischer Verfassung seien. Bei Sozial- und Pfarreipraktika könnten die Kandidaten wichtige Erfahrungen sammeln. „Die Ausbildung kann nicht auf alles vorbereiten. Umso wichtiger, dass sie in der Zeit etwas Praxiserfahrung machen“, sagt er.  Im Zölibat sieht er Vorteile für den Beruf. „Dadurch haben die Priester auch mehr Freiräume. Heilig Abend ist es etwa kein Problem, mehrere Gottesdienste zu halten, ohne weiteren familiären Verpflichtungen“, meint er.

 Das „Haus der kirchlichen Berufe“ sei ein wichtiger Punkt in der Priesterausbildung.  Junge Erwachsene im Christlichen Orientierungsjahr, Gemeindereferenten und Gemeindereferentinnen, Diakone und Studierende verschiedenster Fächer leben dort unter einem Dach, auch wenn jede Gruppe ihren eigenen Bereich hat. „Die angehenden Priester lernen hier in einem geschützten Bereich die Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen kennen. Ein Beispiel ist, dass sie gemeinsam Gottesdienste vorbereiten“, meint er. Sie übten das vernetzte Denken ein, erklärt der Regens, der seit April im Amt ist. Dies sei umso wichtiger, da sich der leitende Pfarrer in Zukunft die Verwaltungsaufgaben mit einem Koordinator und Verwalter teilen würde. In diesem Dreierleitungsteam hat der Pfarrer mehr Zeit für seine eigentlichen Aufgaben, Diakonie, Katechese und Liturgie. Wer nicht für Leitungsaufgaben bestimmt ist, der könne in der Gemeindeseelsorge auch als Pfarrvikar eingesetzt werden, erklärt Leja.

Einen Satz aus der Studie der Deutschen Bischofskonferenz möchte Leja besonders unterstreichen: Um neue Kandidaten zu finden, müsste ein neues Priesterbild vermittelt werden. „Wir müssen bei der Werbung für uns mutiger werden und mehr die positiven Seiten von Kirche herausstellen“, betont er.

Dirk Gärtner, Regens im Bistum Fulda und Vorsitzender der deutschen Regentenkonferenz, hat die Studie mit beauftragt. Der Tatsache, dass sich die Mehrheit der Priester laut der Studie sich zudem nicht primär als „gestalterische Führungskräfte sehen, gewinnt er eine positive Seite ab „Junge Priester verstehen verstehen sich in erster Linie als Seelsorger. Die Leitung einer Pfarrei steht bei unseren Kandidaten zunächst nicht im Fokus. Das sehe ich als eine gesunde Entwicklung“, meint Gärtner. Die Krux an der Sache sei, dass die Pastoral in immer größeren Räumen organisiert werden müsse. „Die Leitung einer Großpfarrei kann junge Menschen überfordern und abschrecken. Sie sagen, sie würden gerne mehr Zeit für Menschen haben, aber die Verwaltung nimmt zu viel Raum ein. Verwaltungschefs können hier eine Abhilfe sein“, sagt der Regens.

Im Bistum Fulda wird bereits in der Studienphase bei einer Potentialanalsye viel Wert auf Persönlichkeitsbildung gelegt. Zu einem müssten die Kandidaten psychologische Tests machen. Zum anderen würde mit Schauspielern das Verhalten in Konfliktsituationen trainiert. Im Pastoralkurs im Bistum Fulda würden heute wichtige Kompetenzen für die Realitäten des Priesterberufs vermittelt, denkt Gärtner. Er findet in Fulda mit Pastoralreferenten und Gemeindereferenten statt. Hier lernten sie teamfähig zu sein.  In Hamburg und Paderborn treffen die angehenden Priester mit den Priesterkandidaten aus 14 anderen Diözesen zusammen. In der Ausbildung sieht er es als große und wichtige Herausforderung, mit den meist jungen Männern über den Umgang mit eigenen sexuellen Bedürfnissen ins Gespräch zu kommen. „Es ist gesellschaftlich insgesamt schwierig, über diese Themen zu sprechen. Wir müssen eine neue Kultur dafür entwickeln“, sagt er.  

Pfarrer Andreas Weber von St. Elisabeth in Hanau hat in den vergangenen Jahren immer wieder Seminaristen im Praktikum, Diakone und Kapläne betreut. „Die Ausbildung ist viel praxisbezogener geworden“, erklärt er. Diese Entwicklung findet er gut, wenn Mentoren vor Ort eine gute Begleitung anbieten. Auch er habe das meiste durch Ausprobieren und Erfahrung gelernt. Für ihn ist noch ein paar weitere Punkte wesentlich: „Die Seminarzeit sollte zu einer klaren und tragfähigen Entscheidung für die Lebensform des Zölibates führen:  nicht nur als Verzicht, sondern auch als Möglichkeit einer großen Freiheit für die Menschen und für Gott. Dieses Thema braucht auch in der Begleitung großen Raum“, sagt Weber. Schließlich wünscht sich der Pfarrer aus Hanau in den Pfarreien ein Klima, das jungen Menschen Mut macht, ihre Berufung zum Priester anzunehmen. Es brauche dafür auch die Wertschätzung der ehelosen Lebensform des Priesters durch die Gläubigen.

Regens Kirsten Brast aus dem Bistum Limburg hält die Zahl der Studienteilnehmer für zu gering, um generelle Aussagen zu treffen. „Ich frage mich, ob wir überhaupt eine kritische Masse an jungen Priestern haben. Es sind vor allem Einzelfälle, die sich bemerkbar machen“, meint er. Die Tatsache, dass viele junge Priester vor allem in der Liturgie den Schwerpunkt ihres Wirkens sehen, erklärt er sich auch mit den Vorbildern, an denen sie sich orientieren. „Wo begegnet man heute noch Priestern? Selten noch im Jugendtreff, weniger im Sozialprojekt, fast nur noch im Gottesdienst bei der Liturgie“, gibt er zu Bedenken. Die Motivation eines jungen Menschen könne sich ohnehin noch ändern. „Wenn ein Priester geweiht wird, dann ist er ja nicht fertig. Seine Ideen und Vorstellungen werden sich verändern. Er wird praktische Erfahrungen in den Gemeinden sammeln, die ihn prägen werden.“, meint er.

Die Ausbildungsordnung würde immer wieder überprüft und an die Gegebenheiten angepasst. „Gerade in der Kaplanszeit achten wir darauf, dass auch Kenntnisse zum richtigen Leiten vermittelt werden. Das haben wir in der Vergangenheit nicht immer ausreichend berücksichtigt“, erklärt er. Wichtiger als früher seien in der Ausbildungsordnung auch Praktika, Einheiten zu seelsorglichen Gesprächsführung, Prüfung der Persönlichkeit, Sexualität und Kurse mit anderen Berufsgruppen. „Wir wollen Abschottung vermeiden“, sagt er.

Kaplan Benjamin Weiß startet er optimistisch in sein Berufsleben. „Es ist Teil meines Glaubens, dass ich mich immer wieder auf neue Situationen einlassen muss und die Chancen ergreifen, die sich mir gerade bieten. Als ich auf dem Jakobsweg gepilgert bin, habe ich da viel gelernt“, erzählt der Kaplan.