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Wo hakt es bei inklusiven Spielplätzen?

Kinder mit Behinderung können fast 80 Prozent der Spielplätze nicht nutzen, hat eine Studie der Aktion Mensch ergeben. Die Kommunen sind bemüht. Doch gute Planung ist nötig, damit Inklusion gelingt.

Thea wischt mit ihren Händen durch den Sand. Das krümelige Gefühl auf der Haut interessiert sie. Doch der Spaß ist bald vorbei. Denn der Sandtisch auf dem Spielplatz im Mainzer Hartenbergpark ist zu hoch. Von ihrem Reha-Buggy aus kann die Vierjährige nur von unten drangreifen und die Körner rieseln ihr in die Augen. Ihre Mutter Britta Müller ärgert sich. Das Einzige, was sie sich wünscht ist, dass ihre mehrfachbehinderte Tochter wie andere Kinder auch einfach Spaß hat, etwas erleben kann und mit anderen Jungen und Mädchen in Kontakt kommt. Im Urlaub hätten sie schon inklusive Spielplätze besucht und Thea wäre sehr interessiert gewesen. Immer wieder sucht die Mutter das Gespräch mit der Stadt und fordert, dass Inklusion bei der Planung von Spielplätzen mitgedacht wird. Das Jugendamt sei auch offen für ihre Anliegen. Sie haben auf dem Spielplatz eine Schautafel installiert mit Symbolen, auf die Kinder mit Kommunikationsbeeinträchtigung zeigen können, etwa um zu vermitteln, dass sie spielen wollen oder ihnen kalt ist. Und im März wurde eine Kletterkombination mit Rampen installiert mit zwei gepflasterten Zugängen, so dass Thea mit ihrem Buggy hinkommt. Doch die Überwege auf dem Gerüst sind zu eng, so dass sich das Mädchen nicht drehen kann und zwei Kinder auch nicht nebeneinanderstehen können. An die bunten Kugeln, die an der Seite angebracht sind, kommt sie nicht heran. „Das ist für mich keine Inklusion. Thea kann hier alleine drüberfahren, aber sonst nichts machen“, meint Müller. Die Stadt versprach Änderungen vorzunehmen und ein weiteres Spielgerät aufzubauen. Ein Arbeitstreffen mit den Ämtern und Behindertenbeauftragten sei geplant, um Leitlinien zu verabschieden. Heute gebe es von den Herstellern mehr Angebote als noch vor einigen Jahren.

Ein Rollstuhlkarussell ist ausgrenzend

Die Kommunen zeigten guten Willen und seien bemüht, Inklusion auf Spielplätzen zu verwirklichen, bestätigt Svenja Casper aus Flensburg. Die Mutter von vier Kindern, die mittlerweile erwachsen sind, ist nach einem Unfall selbst auf einen Rollstuhl angewiesen. Als die Kinder klein waren, konnte sie oft nicht auf sandigen Untergrund bis zur Schaukel zu rollen. Heute gilt sie als Expertin, was inklusive Spielplätze angeht. Mit der Just-Hansen-Stiftung und der Stadt Flensburg verwirklichte sie den „Spielplatz für kleine Helden“, zu dem Familien aus 40 Kilometer Entfernung reisen. Und sie entwickelte 2020 im Arbeitskreis Inklusion im Normenausschuss Sport die neue DIN 18034-1 „Spielplätze und Freiräume zum Spielen – Anforderungen für Planung, Bau und Betrieb“ sowie einen Dreistufenplan zur Umsetzung. Stufe eins, der barrierefreie Zugang auf zwei Wegen und mit zwei Sinnen, sei leicht zu verwirklichen, meint sie. Sie soll Ansporn sein, weiterzumachen. „Dabei ist wichtig: Nicht jedes Spielgerät muss für alle geeignet sein. Es muss aber für jeden ein Angebot da sein. Der Spielplatz muss nicht teuer, aber durchdacht sein, damit die Kinder interagieren“, fordert sie. Ein Karussell, dass nur für Rollstuhlfahrer geeignet ist, sei ausgrenzend. Sie denkt eher an ein Sprachrohr, das in unterschiedlichen Höhen angebracht ist. Oder eine Wasserpumpe, die ein Kind im Rollstuhl bedienen kann. „Es ist wichtig, dass sich die Kinder kennenlernen und die Hemmschwelle verlieren. Sie müssen es als Kind lernen. Erwachsenen, die nie Kontakt mit Menschen mit Behinderungen hatten, fällt es schwerer“, sagt sie.

Neue Techniken machen mehr möglich

Spielgeräte so zu konzipieren, dass Kinder in Spielkontakt kommen, das ist auch das Ziel der Hersteller. Sie haben daher ihre Herangehensweise geändert. „Kinderland -Emsland-Spielgeräte“ bietet jetzt ein Mehrgenerationenkarussell an, auf dem sich Kinder, Großeltern und Menschen im Rollstuhl gemeinsam drehen können. Von Playparc heißt es, dass es heute mit neuen Fertigungstechniken mehr Optionen gibt als vor dreißig Jahren, etwa beim Fallschutz aus Kunststoff, über den Menschen mit Behinderung leicht rollen können. Das Unternehmen ist spezialisiert auf Calisthenics-Geräte. Bei diesen Anlagen für Kraft- und Ausdauertraining, gebe es auch Lösungen, bei denen Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten sich ausprobieren und gegenseitig helfen können, heißt es von dem Unternehmen.

Nürnberg ist Vorreiter

Die Stadt Nürnberg hat Pionierarbeit geleistet und als erste Stadt 2022 verbindliche Leitlinien verabschiedet, die sich am Dreistufenmodell orientieren. Mit ihnen soll bei der Neuanlage oder Überplanung von Spielplätzen die Qualität und Ansprüche an die Inklusionsfähigkeit der Flächen gesichert werden. Sie hätten nichts anderes gemacht als die UN-Behindertenrechtskonvention von 2008 umzusetzen, sagt Michaela Hillebrand, Projektkoordinatorin „Spielen in der Stadt“. Kinder bräuchten wohnortnahe Spielplätze. Auch Großeltern und andere Begleitpersonen mit Beeinträchtigung wollten mit bis zur Wippe kommen. Wichtig sei eine Vielfalt auf dem Spielplatz, dass Kinder Bewegung erleben, ihre Kreativität gefördert wird, die Sinne angesprochen werden und ein Miteinander stattfindet, hoch und schnell muss es sein, aber nicht langweilig. Für jeden muss etwas dabei sein. Alles muss zumindest für alle erreichbar sein, vom Eingang bis zum Spielgerät im Zwei-Wege sowie Zwei-Sinne-Prinzip. Diese Minimalanforderung ist schon mit maximal fünf Prozent Mehrkosten zu erreichen, hat die Stadt errechnet. Auch der Bezirk Berlin Mitte hat jetzt verbindliche Leitlinien für die Inklusion auf Spielplätzen verabschiedet, wie auch die Stadt Trier. Die Stadtverwaltung Speyer hat von einer Beratungsfirma ein Konzept für einige Spielplätze erstellen lassen. Frankfurt hat in der Nordweststadt im September 2021 einen inklusiven Abenteuerspielplatz eröffnet.

Extra nach Frankfurt fahren, um einen Spielplatz zu besuchen ist für Britta Müller keine Option. „Ich bin berufstätig. Wir haben in der Woche viele Therapie-Termine. Wir können nicht weit fahren, nur um einen inklusiven Spielplatz zu finden. Wir pflegenden Eltern sind ohnehin schon sehr belastet. Jetzt muss ich auch noch um einen Spielplatz kämpfen. Dafür habe ich eigentlich weder Energie noch Zeit. Aber es muss wohl sein, sonst tut sich nichts“, sagt sie.

Theresa Breinlich
KNA
August 2023