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Wohnen im historischen Festsaal

Von außen sieht das Haus im zart hellblauen Ton in der Kapellenstraße 2 in Bodenheim zwar historisch aus, sticht allerdings nicht ins Auge. Der Treppenaufgang mit den massiven dunklen Stufen, den mannshohen modernen Gemälden an der dunklen Holzwand und der Art-Déco-Einrichtung ist schon imposant. Doch oben angekommen in Hagen Wolfs Wohnung im Loft-Stil erlebt der Besucher einen Überraschungsmoment. Ein mächtiger Kronleuchter an der Decke, eine offene Küche im dunklen Marmor-Ton zentral in der Mitte, eine gut ausgestattete Bar, eine Galerie, die den Wohnbereich umschließt und was wirklich einzigartig sein müsste, ein Doppelbett auf der Bühne, dessen Umrahmung ein Jugendstil-Ornament ziert, ziehen die Aufmerksamkeit auf sich. Der Bodenheimer Bauunternehmer mit Schwerpunkt Sanierung und Umbau historischer Gebäude hat den ehemaligen Festsaal „Zum Rheintal“ in eine etwa 400 Quadratmeter große Privatwohnung für sich und seine Frau umgebaut. Manchmal sind auch die Enkel zu Besuch. Nur Bad und Gästezimmer sind mit einer Tür abgetrennt. Wolf hatte das Gebäude 2018 der Familie Franz abgekauft, die diesen seit 150 Jahren in Besitz hatte. Hier fanden seit den 1920er-Jahren Fastnachtsfeiern, Theatervorstellungen, Bälle und Ringkämpfe statt. Die Feierlichkeiten endeten in den 1970er-Jahren. Der Gesangsverein Concordia nutzte lediglich noch die umgebaute Bühne als Proberaum. Der Saal diente als Abstelllager. Wolfs ursprünglicher Plan war dort gastronomische und kulturelle Events stattfinden zu lassen. Doch eine Zusammenarbeit mit einer Agentur kam nicht zustande. So entschied er ihn selbst zu bewohnen. Er hatte eh vor, sein Haus seinem Sohn zu übergeben. Das Konzept bestand darin, so viel von der historischen Struktur zu erhalten, wie möglich, den Raum mit Möbeln aus den 1920er und 1930er-Jahren zu gestalten und dies mit modernen Elementen zu verbinden. Original sind noch der Boden aus Eichen- und Kiefernholz, der Kronleuchter, die Galerie mit Huthaken, die Bühne und Barhocker. „Wir haben hier sehr moderne Elemente wie die offene Küche eingebaut. Die alte Ausstattung ist das, was für Gemütlichkeit sorgt, Wir fühlen uns sehr wohl hier“, erzählt der Bodenheimer. Einige Gegenstände wie Sessel und Tische sind Sammlerstücke, die aus der Zeit stammen, als er als Antiquitätenhändler gearbeitet hat. In eineinhalb Jahren wurde das Haus energetisch saniert, eine Fußbodenheizung eingebaut, Solarzellen installiert und ein Smart-Home eingerichtet. Die ursprünglich zwei Gebäude wurden zu einem zusammengeführt. Geheizt wird mit einer Pellet-Heizung. Obwohl der Saal sechs Meter hoch ist, würden durch die Dämmung die Heizlosten im Rahmen bleiben, meint Wolf. Im ganzen Haus finden sich Details, die in einer Privatwohnung eher unerwartet sind und für einen gewissen Humor des Besitzers sprechen, wie ein Spiel- und ein Bonbonautomat an der Wand sowie Herren- und Männer-Schilder über der Gästetoilette, die aus Gasstätten bekannt sind und rot leuchten, wenn die Toilette besetzt ist. Auf die Frage: „Was wurde aus der Kegelbahn?“, knipst Wolf im Keller das Licht an und zu sehen ist ein mehrere Meter langes in grünes Licht getauchtes Schwimmbad. Kegel und Kugeln seien in keinem guten Zustand mehr gewesen, erklärt der Bauunternehmer.
Ende vergangenen Jahres wurde der Saal doch noch mal für eine Festivität genutzt, privat, zugunsten der Organisation Afara e.V. und dem Projekt Monica`s Soup Kitchen. Die Namibianerin Monica Imanga versorgt in einem der größten Slums Afrikas in Windhoek jeden Tag 800 Kinder mit Essen. Sie werden hier auch auf die Schule vorbereitet. Hagen Wolf sah im Fernsehen einen Bericht über ihren Einsatz und entschied spontan zu helfen. Jetzt im Ruhestand habe er auch Zeit dafür, erklärt er. Er flog hin und schaute sich ihre Arbeit an. „Mein Herz hat mir gesagt, hier muss ich was tun. Es macht viel Spaß zu sehen, was sich entwickelt“, sagt er. Bei diesem Dinner mit Frank Buchholz kam ein großer Betrag zusammen. Seither war der Bodenheimer mehrmals in Afrika, um dieses Projekt und ein weiteres voranzubringen, das Farming Project. Der Verein hat ein Grundstück gekauft. Hier soll ein Garten entstehen, in dem Menschen aus dem Slum angeleitet werden, Gemüse anzubauen. Sie haben damit eine Arbeit und die Mitarbeiter der Suppenküche müssen nicht mehr die teuren Lebensmittel auf dem Markt kaufen. Zukünftig soll hier auch ein Sozial- und Gesundheitszentrum gebaut werden.

Theresa Breinlich
Allgemeine Zeitung Mainz
27.6.2023